Nach dem Terroranschlag in Brüssel mit 31 Todesopfern und 250 Verletzten fragen sich alle, wie konnte dies schon wieder passieren und wann trifft es uns in Deutschland? Alle Gedanken sind natürlich zunächst bei den Opfern und ihren Hinterbliebenen, aber während sich im Volk in die Trauer eine ohnmächtige Angst mischt, versuchten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck gleich wenige Stunden nach dem Anschlag kämpferisch zu reagieren und gaben der Weltpresse zu Protokoll, man werde die „Werte Europas“, die Demokratie und unsere Freiheit verteidigen.
Die entscheidende Frage, wo diese Verteidigung stattfinden soll, sparten Merkel und Gauck zwar aus, aber man kann es sich angesichts der westlichen Außenpolitik seit 2001 denken: Überall, vornehmlich dort, wo es den strategischen Zugriff auf wichtige Rohstoffe zu sichern gilt, wollen die USA und ihre Partner ihre eigenen Wertevorstellungen und dazu passende Regierungen durchsetzen (Regime Change). Nach dem 11.September 2001, als zwei Flugzeuge erstmalig drei Hochhäuser des World Trade Centers in New York zum Einsturz gebracht haben sollen, wurde der „Krieg gegen den Terror“ ausgerufen. Dieser global geführte Krieg ist jedoch in den letzten 15 Jahren an allen Fronten gescheitert. Er hat dem Mittleren Osten weit über 500.000 Tote (meist Moslems) gebracht, hat ihn destabilisiert, das Zusammenrücken der Gemeinschaft der Gläubigen (Moslems) befördert, zur Radikalisierung beigetragen und so zur noch schnelleren Ausbreitung des Islamismus geführt.
Bereits Anfang 2015 sagte der ehemalige amerikanische Präsidentschaftskandidat Ron Paul: „Ein neuer weltweiter Krieg gegen ISIS wird vermutlich nur dazu dienen, den Dschihadisten weitere Rekruten in die Arme zu treiben.“ Erste Erfahrungswerte hätten bereits damals gezeigt, dass „unsere Bombardierungen dazu geführt haben, dass sich 20.000 ausländische Kämpfer ISIS angeschlossen haben“. Allein 2015 wurden nach Angaben des amerikanischen Think Tanks Council on Foreign Relations 23.144 US-amerikanische Bomben in sechs islamischen Ländern abgeworfen. Wäre der Krieg gegen den Terror oder die „Verbreitung von Menschenrechten mit anderen Mitteln“ mit Bomben zu gewinnen, hätte der Westen ihn also bereits gewonnen.
Bevor also der Krieg früher oder später auf unseren Straßen in Deutschland ausgetragen wird, müssen wir uns fragen, ob wir an das Problem des Terrorismus nicht grundsätzlich falsch herangehen. Fakt ist: Wenn David gegen Goliath kämpft, fällt es David besonders leicht, an das Ungerechtigkeitsempfinden der Menschen zu appellieren und diese zu mobilisieren. Nun ist es für den „Islamischen Staat“ – besser als „Da’esh“ zu bezeichnen – noch nicht einmal nötig, die Bevölkerungsmehrheit in Nordafrika, dem Nahen und Mittleren Osten von der Richtigkeit von Terroranschlägen zu überzeugen. Es reicht aus, die radikalen Verlierer einzusammeln, von denen es da unten aufgrund der Jugendüberschüsse mehr als genug gibt. Ihre Religion und die totalitäre Auslegung durch Da‘esh geben ihnen ein Überlegenheitsgefühl, das unmittelbar mit der offensichtlichen Schwäche und Rückständigkeit der arabischen Welt kollidiert, wodurch ein enormes Konfliktpotential entsteht, das kriegerisch kompensiert wird.
Wie können wir uns davor nun schützen und unseren menschenmöglichen Teil dazu beitragen, die Situation in den Krisenländern zu verbessern? Vor zwei Wochen kritisierte der Präsident Mazedoniens, Gjorge Ivanov, gegenüber der BILD-Zeitung, Angela Merkel habe in der Sicherheitsfrage versagt. Er sei sich sicher, betonte Ivanov, dass sich sehr viele Dschihadisten unter den Migranten befinden, die derzeit in Idomeni an der mazedonisch-griechischen Grenze aufgehalten werden. 9.000 gefälschte Pässe habe man bereits gefunden. Bei vielen der unter falscher Identität eingereisten „Flüchtlinge“ könnte es sich um Terroristen handeln. Worauf Ivanov damit hinauswollte, ist ganz einfach: Ohne Grenzkontrollen und die Überprüfung von Pässen lässt sich nicht feststellen, ob da gerade ein politisch Verfolgter oder ein Terrorist nach Europa einreisen möchte.
Wenn sich unter Tausend Migranten auch nur ein Terrorist befinden sollte, so sind das bei ein, zwei Millionen Asylbewerbern auf jeden Fall genug, um Deutschland und Europa ins Chaos zu stürzen. Hinzu kommt, dass bei einer solchen Masseneinwanderung immer ein Heer von Frustrierten entsteht. Es handelt sich um Menschen, die nicht sofort einen Arbeitsplatz bekommen, unter den schlechten Bedingungen in den Asylunterkünften leiden oder sich einfach nicht wohlfühlen. Sie sind besonders anfällig für die Ideologie der Extremisten und deren Scheinlösungen.
Wir haben deshalb zwei Möglichkeiten: Entweder wir beschneiden die Freiheiten in Deutschland massiv, um die Sicherheitsrisiken der Masseneinwanderung abfedern zu können, oder wir müssen auf den Titel des „Flüchtlingsweltmeisters“ verzichten und konzentrieren uns darauf, den wirklich Hilfsbedürftigen, den Waisenkindern, Kranken und Schwachen direkt in den Krisenregionen zu helfen.
Auf den ersten Blick geht es hier also um eine Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit. Da die multikulturelle Gesellschaft immer auch eine Multikonfliktgesellschaft ist, braucht sie einen Überwachungsstaat. Weitestgehend homogenen Gesellschaften dagegen gelingt es, große individuelle Freiheiten zu gewähren, weil es nur zu einem überschaubaren Maß an Konflikten kommt.
Wer so argumentiert, dem wird in Deutschland allerdings nationaler Egoismus vorgeworfen. Dies ist jedoch grundfalsch. In den letzten vierzig Jahren hat ca. jeder vierte arabische Ingenieur, Arzt und Naturwissenschaftler die eigene Heimat verlassen. Dieser „brain drain“, der auch die politische – womöglich sogar demokratische – Opposition betrifft, führt dazu, dass die Herkunftsländer der Auswanderer auf absehbare Zeit immer hinterherhinken werden, sich die Autokraten an der Macht halten können und aus dieser Perspektivlosigkeit neues Potential für Radikalisierung entsteht. Staaten mit schlechter Bildung und schlechten beruflichen Perspektiven, haben übrigens auch die höchsten Geburtenraten, was die Probleme weiter potenziert. Wer sich also einen wirklichen „arabischen Frühling“ wünscht, der muss auf die Durchsetzungskraft der Gebildeten in ihrer Heimat hoffen.
Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal betont in seinem Buch über Allahs Narren, der Islamismus sei „eine Reaktion, die sich in erster Linie gegen die Muslime richtet“ – gegen jene nämlich, die eine islamische Aufklärung vorantreiben wollen. Wirbt man die reformistische Mittelschicht der arabischen Welt also ab, überlässt man den Islamisten das Feld und stärkt sie weiter. Den „Kampf gegen den Terror“ können wir deshalb wirkungsvoll nur in unserem eigenen Land führen, indem wir Einreisende kontrollieren, Extremisten erkennen, abschieben und (potentielle) Attentäter konsequent vor und nach ihren Taten verfolgen. Wie dieser Kampf in der arabischen Welt ausgeht, lässt sich dagegen von uns nur indirekt beeinflussen. Indem wir uns langfristig von strategischen Rohstoffsicherungen mit der Waffe abwenden, uns aus den Kampfhandlungen heraushalten und uns auf humanitäre Hilfe (z.B. mit der UNO und einem robusten Mandat) vor Ort konzentrieren, dürften wir dabei den Islamismus am effektivsten eindämmen und langfristig zurückdrängen. Die Waffen vor Ort kann man übrigens auch nicht aus der Luft oder durch wegsehen einsammeln.
Den Krieg auf unseren Straßen gewinnen wir nur mit einer gut ausgerüsteten Polizei und besserer internationaler Kooperation der Sicherheitsbehörden. Den Kampf um die Köpfe – das Entstehen von „home grown terrorists“, also hier aufgewachsenen Dschihadisten – können wir nur verhindern, wenn wir junge Moslems vor den Fängen der Radikalen bewahren. Dabei helfen Verbote genauso wie bei Rechts- und Linksextremisten wenig, sondern nur Perspektiven für ein erfülltes Leben als Deutsche und nicht die Perspektive auf ein erfülltes Leben im Jenseits als Märtyrer. Und trotzdem wird man niemals jeden erreichen – leider.
Während des Schreibens dieses Textes sind übrigens 7,8 US-Bomben gefallen.