Vor kurzem wurde ich von Vertretern der deutschen Minderheit in Polen nach Schlesien eingeladen. Schlesien? Ist das nicht der kleine Zipfel um Görlitz herum? Oder war da nicht was mit Breslau? Darf man dort überhaupt als Vertreter einer deutschen Partei hin, ohne revanchistisch zu sein? Darf man das überhaupt sagen und wie spricht man dort die Ortschaften aus? Mit ihrem deutschen Namen oder dem polnischen? Wie denken dort die Deutschen? Das sind Fragen, die dem Bundesbürger durch den Kopf gehen dürften, wenn er an Schlesien denkt.
Mir ging es nicht so viel anders und darum nahm ich die Einladung nach Ratibor (Raciborz) dankend an. Nach 320 Kilometern Fahrt ab der Grenze kam ich mit Familie dort an. Auffällig war zunächst, dass die Ortsnamen teilweise deutsch und polnisch geschrieben sind. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Ich kam in einem sehr schicken Hotel unter, das in seiner jahrhundertealten Form wieder hergerichtet wurde und dennoch modern ist. Ein Glanzstück inmitten von Bausünden. Bereits am ersten Abend konnte ich dank sprachkundiger Begleitung mit einer Bürgerin der Stadt zu Abend essen. Ich lernte, dass „Wasserpolnisch“ – anders als ich dachte – keine Beleidigung sei, sondern der Dialekt der polnischen Schlesier. Ich lernte, dass es zwar eine Förderung seitens der deutschen Regierung für die deutsche Minderheit gibt, die aber nicht unbedingt überprüft wird. Zeitungsartikel im Duktus von: „Ich backe Kuchen mit meinen Freunden und der schmeckt dann sehr gut“, scheinen in ihrer Strahlkraft begrenzt. Meine Begleiterin schüttelte nur den Kopf, während sie das erzählte.
Was würde sie sich wünschen? Es sollte eine stärkere Vernetzung in Fragen der Sprachbildung und Wirtschaft mit Deutschland zum beiderseitigen Gewinn stattfinden. Die deutsche Minderheit sollte über Schlesien hinaus auf sich aufmerksam machen. Es wäre doch schön, wenn man auch in urpolnischen Gebieten wüsste, dass es in Polen eine nicht gerade kleine deutsche Minderheit gibt. Nicht klein? Örtlich hat die Minderheit einen Bevölkerungsanteil von über 20 Prozent. Dies erkennt man an den deutschsprachigen Ortsschildern.
Am nächsten Tag kam ich in die Innenstadt. Es muss einmal ein schöner Marktplatz gewesen sein. Der Brunnen lässt es erahnen. Auch hier wieder: schmucklose Bausünden zwischen schöner alter Architektur. Doch bei meinem Besuch ging es nicht um die Häuser, sondern die Menschen. Anna Ronin und ihre Freunde hatten eingeladen. Als Kandidatin für das Amt des Stadtpräsidenten (Bürgermeisterkandidatin) hatte sie zuletzt 48 Prozent der Stimmen in der 51.000 Einwohner zählenden Stadt erreicht. Das ist ein klarer Beweis dafür, welch große Anerkennung sie über die Gruppe der Deutschen hinaus genießt. Auch bei diesen Gesprächen herrschte der Wunsch vor, die Vernetzung mit Deutschland weiter voranzutreiben. Dabei geht es ihr nur in zweiter Linie um kulturellen Austausch, sondern um handfeste wirtschaftliche Interessen. Wie können deutsche und schlesische Unternehmen gegenseitig voneinander profitieren? Wenn es um das Erschließen von Produktionsstätten und Absatzmärkten geht, könnten die deutschen Schlesier eine Brückenfunktion übernehmen, da ihnen beide Kulturen und Sprachen vertraut sind.
In den deutschen Medien wird derzeit besonders über die neue polnische Regierung der PIS (Partei für Recht und Gerechtigkeit) negativ berichtet. Dem Leser dürften zudem noch die deutschenfeindlichen Töne der ehemaligen Vorsitzenden im Gedächtnis sein. In der Praxis sieht es nun ganz anders aus. Zum einen ist die AfD mit der PIS gemeinsam in der EKR-Fraktion im Parlament der Europäischen Union. Zum anderen lernte ich einen PIS-Bürgermeister einer kleinen 15.000 Einwohnergemeinde aus der Nähe von Rybnik (Ratibor) kennen. Er spricht perfektes Deutsch und äußerte den aufrichtigen Wunsch den intensiven kulturellen Austausch zwischen seiner Gemeinde und einer deutschen herzustellen. Wir werden versuchen ihn dabei zu unterstützen.
Abschließend durfte ich einer Veranstaltung von Steffen Möller, organisiert vom „Deutschen Freundschaftskreis“, beiwohnen. Er ist ein Westdeutscher, der es in Polen zu einiger Bekanntheit gebracht hat: vom Studenten über den Seifenoperndarsteller zum Komiker mit eigenem Bühnenprogramm. Sein Programm befasst sich mit einem Deutschen (ihm), der in Polen ankommt und dabei die Sprache sowie die Menschen kennen lernt. „Po-de-sche“ hätte ich vor Publikum lernen sollen. Es soll wohl so etwas wie „Brötchen“ bedeuten. Pchepraszam. Ich gebe zu, ich habe – oczywiście – nichts verstanden, aber alle haben herzlich gelacht.
Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz besonders bei meinen Gastgebern, weil ich weiß, dass sie dies hier lesen werden. Ich werde nicht das letzte Mal dort gewesen sein. Der Besuch kann nur ein Anfang sein. Es gibt noch viel mehr zu erzählen und noch mehr zu sehen.
PS: Die mehreren Hunderttausend Deutschen in Polen dürfen zur Bundestagswahl übrigens auch ihr Kreuz abgeben!