Heute vor 150 Jahren begann mit der Reichsgründung die Geschichte moderner deutscher Staatlichkeit.
Die Reichseinigung kam spät, aber ihre Wirkung war epochal. Die Mitte Europas richtete sich auf, um zur wissenschaftlich-technologischen Pionierstätte der Welt zu werden. Das Kaiserreich setzte Maßstäbe. Die Grundlagen der modernen Physik, Chemie und Medizin wurden im Wesentlichen an deutschen Universitäten geschaffen. Nirgends wurden so viele Patente angemeldet. Deutsche Forscher wurden zu Dauerabonnenten des im Jahr 1901 gestifteten Nobelpreises. Deutsch wurde zur »Wissenschaftssprache« in aller Welt.
Auch die Wirtschaft »boomte«, das Reich sollte binnen weniger Dekaden die vormals mächtigsten Industriestaaten überflügeln – insbesondere die Industrie-Macht England. Noch heute weltweit führende Erfolgsgründungen wie Siemens, Krupp, Bayer, Miele oder Daimler stammen aus jenen Jahren. Ebenso wie die Marke »Made in Germany«.
Zugleich wurden die Grundlagen des Sozialstaates gelegt; die Politik entwarf Antworten auf die »soziale Frage« (Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung etc.). Bildung wurde ein Breitenphänomen, und zwar mit Substanz; und nicht im teils entleert-formalen Sinne, wie heute.
À propos: „Wie stand es mit der Meinungs-, Publikations- und Kunstfreiheit im Reich?“, fragt der Publizist Michael Klonovsky in einem aktuellen Cato-Beitrag. „Jedes politische Milieu besaß seine eigenen Zeitungen, Lokale, Versammlungsorte; tatsächlich herrschte Meinungsvielfalt. […] Bruno Paul, der als Simplicissismus-Karikaturist den Kaiser wenig geschont hatte, wurde trotzdem an die Berliner Akademie für angewandt Kunst gerufen. […] In Wilhelms Reich durfte, anders als in Wien oder New York, die Salome von Richard Strass unbeanstandet aufgeführt werden […], obwohl diese blasphemischste der Opern gegen alles verstieß was im Reich offiziell als sittlich und moralisch geboten galt. […] 2018 dagegen, im buntesten und tolerantesten Deutschland, das es je gab, mußte ein religionskritischer Autor wie Thilo Sarrazin vor Gericht ziehen, um sich der Zensurmaßnahmen seines Verlages Random House […] zu erwehren,“ resümiert der Autor.
Dass das 150te Jubiläum der Reichsgründung im heutigen »offiziellen Deutschland« nur verlegen zur Kenntnis genommen wird, oder gar als Anlass für ahistorische Schmähreden (Steinmeier), zeigt, wie tief der Bruch zwischen unseren »postnationalen« Eliten und unserer Nation ist. Es zeigt aber auch, dass deren selbstherrliche Redewendung vom »besten Deutschland, das es je gab« im Angesicht des Kaiserreichs nur noch mit Schamesröte im Gesicht vortragen werden kann.